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Die aggressive Ausbreitung Deutschlands in den Ausland


Vor allem Wilhelm II. treibt die Expansion nach Übersee an. Nicht nur in der Südsee errichten die Deutschen Kolonien, sondern auch in China und Afrika. Auf Widerstand reagieren sie mit brutaler Gewalt

Bereits im 16. Jahrhundert lockt die Neue Welt auch deutsche Entdecker, Missionare, Händler und Forscher über den Atlantik – allerdings nur im Schlepptau von Eroberern anderer Nationen. Denn im Gegensatz zu Portugal, Spanien und England ist das Heilige Römische Reich deutscher Nation keine schlagkräftige Großmacht, sondern ein lockeres Gebilde unterschiedlicher Herrschaften, das weder über ein stehendes Heer noch eine gemeinsame Flotte verfügt.

Nur selten gelingt es deutschen Kaufleuten und Fürsten, sich in Übersee festzusetzen; so herrscht die Kaufmannsfamilie der Welser ab 1528 für einige Jahrzehnte über Venezuela. Kasimir von Hanau, Fürst eines Zwergstaats am unteren Main, verfügt um 1670 über ein Stück Land im späteren Französisch-Guayana.

Und Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg gründet 1683 an der westafrikanischen Küste eine kleine Kolonie und ringt den Dänen Teile einer Antillen-Insel ab, um in den transatlantischen Menschenhandel einzusteigen. Rund 30 000 Sklaven transportieren brandenburgische Schiffe in den folgenden Jahren von Afrika in die Neue Welt – bis das Herrscherhaus seine unrentabel gewordene Kolonie 1717 an die Niederländer verkauft.

Mit dem Aufkeimen der Nationalbewegung beginnen in Deutschland breitere Kreise von einem Reich in Übersee zu träumen: Um 1845 entstehen erste Kolonialvereine, die etwa in Texas Territorien für deutsche Siedler erschließen wollen.

Kolonialismus: Wunden, die nicht verheilen

Deutschland erkennt die Kolonialverbrechen in Afrika als Völkermord an. Aber bis in die Gegenwart prägt die jahrhundertelange europäische und deutsche Fremdherrschaft die Welt: In vielen Ländern sind instabile Regierungen, wirtschaftliche Schwäche und ethnische Konflikte eine direkte oder indirekte Folge des Kolonialismus. Eine Bilanz

Nach der Gründung des Kaiserreichs 1871 fordern Gelehrte, Schriftsteller und Beamte immer lauter, auch die Deutschen müssten Kolonien erwerben. Ihre Argumente: Zum einen brauche das Reich Siedlungsgebiete, um die Massenauswanderung in die USA zu stoppen; zum anderen könne es revolutionäre Gefahren im Land bannen, wenn sich den Armen eine Perspektive in Übersee biete. Und schließlich hoffen viele auf die Erschließung von Bodenschätzen sowie neue Absatzmärkte für die wachsende deutsche Industrie.

Die Kolonialbegeisterten interessieren sich vor allem für Afrika, dessen gewaltiges Inneres um 1880 noch kaum erkundet ist; der Wettlauf der europäischen Staaten um den Kontinent hat gerade erst begonnen.

Reichskanzler Otto von Bismarck jedoch weist alle Forderungen nach Kolonien strikt zurück: Er scheut die Kosten und Risiken einer überseeischen Expansion und fürchtet, in Konflikte mit den anderen Großmächten verwickelt zu werden.

Allerdings haben deutsche Kaufleute an Afrikas Küsten bereits auf eigene Faust Territorien von Einheimischen erworben und Stützpunkte angelegt, etwa in Ostafrika.

Um diese Gebiete vor dem Zugriff anderer Nationen zu sichern, gibt Bismarck seinen Widerstand auf: Vom Sommer 1884 an stellt Berlin die überseeischen Besitzungen unter den Schutz des Deutschen Reiches – zunächst ein 580 000 Quadratkilometer großes Gebiet im heutigen Namibia, das der Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz zusammengerafft hat.

Die deutsche Flagge in Togo, Kamerun und Ostafrika

Kurz darauf weht die deutsche Flagge auch in Togo, Kamerun – und Ostafrika: Dort hat Carl Peters, Leiter der 1884 gegründeten „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“, ein Gebiet von der doppelten Größe des Deutschen Reiches erworben.

In den folgenden Jahren stellt Berlin ein 240 000 Quadratkilometer großes Gebiet in der Südsee unter seinen Schutz, darunter den Nordosten Neuguineas, den Bismarck-Archipel sowie die Salomonen.

Und das Reich fasst in China Fuß (allerdings erst Jahre nach Bismarcks Entlassung): 1897 besetzen Soldaten die Bucht von Jiaozhou an der Ostküste des Landes. Als Vorwand dient die Ermordung zweier deutscher Missionare in der Gegend; tatsächlich aber will sich das Reich, das bereits offen nach Weltgeltung strebt, Zugang zum chinesischen Markt verschaffen.

GEO Epoche Nr. 97 : GEO EPOCHE Nr. 97 - Der Kolonialismus

Deutschland pachtet das Gebiet auf 99 Jahre und unterstellt es dem Reichsmarineamt, das gerade eine Hochseeflotte baut. Privatunternehmen sollen die Überseebesitzungen erschließen und verwalten, doch die Firmen sind mit der Aufgabe bald überfordert. Bis 1891 übernimmt Berlin die direkte Herrschaft über alle afrikanischen Besitzungen, schickt Beamte und Soldaten dorthin und später auch in den Pazifik.

Kriege und Aufstände in den deutschen Kolonien

Die Deutschen wollen mustergültige Kolonien aufbauen. Doch sie sind gänzlich unerfahren in der Erschließung von Überseegebieten – und gehen oft mit brachialer Ungeduld vor. Um etwa Platz für Plantagen und Farmen zu gewinnen, enteignen sie die Einheimischen vielerorts einfach; in Kamerun verlegen sie ganze Dörfer aus fruchtbaren Gebieten in Sümpfe und Trockenzonen, zwingen viele Gemeinschaften in Reservate.

Sie erfinden Hütten- und Kopfsteuern, die die Einheimischen in Form von Naturalien, Geld oder Frondiensten ableisten müssen – etwa, indem sie umsonst auf Feldern der Deutschen schuften, Straßen, Eisenbahnstrecken und Häfen anlegen.

Ihre Herrschaft sichern die Kolonialherren vielerorts mit Prügelstrafen, Kettenhaft, öffentlichen Hinrichtungen und militärischen Vergeltungsschlägen ab. Dieses Vorgehen schürt immer wieder Unruhen, in Afrika mündet es in zwei grausame Kriege. 1904 erhebt sich in Deutsch-Südwestafrika das von Zwangsenteignungen besonders betroffene Volk der Herero. Die Einheimischen überfallen deutsche Farmen und Kontore, blockieren Bahnlinien und belagern Militärstationen.

Berlin reagiert mit einem Vernichtungsfeldzug; im Sommer kesseln deutsche Truppen Zehntausende Herero ein. Sie feuern mit Geschützen und Maschinengewehren auf die Menschen, töten auch Frauen und Kinder. Die Überlebenden zwingen sie zur Flucht in die Wüste, wo die meisten von ihnen verhungern und verdursten – sämtliche Wasserstellen haben die Deutschen zuvor besetzt.

Gefangene Herero werden in Konzentrationslagern eingepfercht, mehr als ein Drittel von ihnen überlebt die Haft nicht. Insgesamt kommen in dem bis 1907 währenden Krieg mehr als 60 000 Herero um, zudem etwa 10 000 Nama, die zur gleichen Zeit im Süden der Kolonie einen Guerillakrieg gegen die Deutschen führen.

Ein weiterer Krieg bricht 1905 in Ostafrika aus, wo die Deutschen den Menschen ortsfremde Dorfvorsteher aufgezwungen und den Anbau von Baumwolle für den Export befohlen haben. In der bevölkerungsreichsten Kolonie des Reichs erheben sich daraufhin mehrere Stammesgruppen – verbunden durch den Glauben an ein Wunderwasser, maji, das sie gegen die Gewehrkugeln unverwundbar machen soll.

Berlin schlägt den Maji-Maji-Aufstand brutal nieder: Bis zu 300 000 Einheimische kommen Schätzungen zufolge in dem bis 1908 währenden Krieg und der darauf folgenden Hungersnot um.

Das 1907 eingerichtete Reichskolonialamt versucht nach diesen kostspieligen Kriegen, die Besitzungen durch Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen zu modernisieren, doch viele Reformen scheitern, vor allem am Widerstand der weißen Farmer und Plantagenbesitzer.
Während das Vorgehen in Afrika zunehmend Protest in Deutschland hervorruft, versucht die Marine, das ihr anvertraute Schutzgebiet in China zu einem Schaufenster deutscher Leistungsfähigkeit und Modernität auszubauen. Die Kolonialbeamten errichten dort Hafenanlagen, Straßen und eine Eisenbahnlinie, schaffen eine Kanalisation und Trinkwasserversorgung, forsten von Erosion bedrohte Gebiete auf.

Dennoch wirft das kleine Schutzgebiet nicht die erhofften Gewinne ab. Auch die anderen Überseebesitzungen sind fast alle ein Verlustgeschäft. Bis 1914 fließen in die Kolonien 646 Millionen Mark an Reichszuschüssen – sowie rund 800 Millionen Mark für das Niederschlagen von Aufständen. Nur Togo und das 1899 hinzugewonnene Samoa, die kleinsten deutschen Kolonien, tragen sich am Ende selbst.

Das Ende der kolonialen Ära

Mit dem Ersten Weltkrieg endet die koloniale Ära der Deutschen: In Westafrika und auf den pazifischen Inseln müssen die Kolonialherren bereits kurz nach Kriegsbeginn kapitulieren, um andere Territorien toben noch monate- und jahrelange Kämpfe.

Nach dem Weltenbrand muss Deutschland seine einstigen Schutzgebiete endgültig abtreten; die Besitzungen werden von den Siegermächten aufgeteilt und 1920 unter die Hoheit des neu gegründeten Völkerbundes gestellt.

Verfechter des Kolonialismus hängen dem verwehten Reich jedoch noch lange nach – bis Adolf Hitler eine andere Weltregion zum neuen „Kolonialraum“ der Deutschen bestimmt: die Sowjetunion.

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#Themen
  • Geschichte
  • Deutsche Geschichte
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Author: Ana Church

Last Updated: 1703202361

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